Eine Gemeinde im Wandel der Zeiten

Eine Gemeinde im Wandel der Zeiten

Zur Geschichte der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem

 

Die Gründung der Evangelisch-Lutherischen Weihnachtskirche geht zurück auf die Mitte des 19. Jahrhunderts.  Sie ist mit der Geschichte des 1841 gegründeten Bistums verbunden. Es war der zweite und im Jahre 1846 vom Preußischen König,  Friedrich Wilhelm IV. zum Bischof ernannte Pfarrer Gobat, dessen Interesse vom Anfang darin lag, die orientalischen Kirchen zu reformieren.

Die Anfänge unter dem Missionar Samuel Müller (1860-1884)

Im Jahre 1860 bat Bischof Gobat den im Jahre 1852 in Berlin entstandenen Jerusalemsverein, die »Missionsstation Bethlehem« von der C.M.S. (Christian Missionary Society) zu übernehmen. Die Übernahme erfolgte am 20. Oktober 1860. Missionar Müller durfte auch unter der neuen Leitung weiterarbeiten. Es gab damals nur zwölf arabisch-evangelische Familien, die sich jeden Sonntag im Hause des Missionars Müller versammelten, um den Gottesdienst nach anglikanischer Liturgie zu feiern. Nun wurde Bethlehem dem Pfarrer der deutschen Gemeinde in Jerusalem unterstellt; sie wurde also eine Filialgemeinde von Jerusalem. Die Gottesdienste wurden zwar weiterhin nach dem englischen »Book of Common Prayer« gehalten, allerdings mit einer Abweichung: Künftig wurde nicht mehr für die Königin von England gebetet, sondern, wie in der deutschen Gemeinde Jerusalems, »für den König von Preußen sowie das königliche Haus«. Missionsgeschichte und Kolonialgeschichte waren von Anfang an stark verwoben.

Während Missionar Müller darauf bedacht war, die Gemeinde nach innen hin zu stärken, trachtete die Gemeinde selbst danach, sich nach außen hin zu festigen. Dies tat sie in drei Schritten: Sie trat an Missionar Müller mit der Bitte heran, ein Grundstück für die Gemeinde zu kaufen. Zum einen benötigte sie dringend einen Begräbnisplatz. Durch den Bau einer öffentlichen Kapelle wollte sie auch der Öffentlichkeit demonstrieren, daß sie keine Sekte sei,  sondern eine »ebenbürtige« christliche Konfession wie die anderen auch. Im gleichen Jahr wurde im äußersten Westen der Stadt auf einer Anhöhe ein für diesen Zweck passendes Grundstück gefunden. Die darauf gebaute Kapelle konnte schließlich am 17. November 1864 eingeweiht werden. Der Bau der Kapelle hat den erhofften Erfolg gebracht. Am 18. Oktober 1864, also einen Monat nach Einweihung derselben, meldeten sich 51 Familienväter zum Übertritt. Nun konnte die Gemeinde den zweiten Schritt wagen und in aller Öffentlichkeit durch Prozessionen und dergleichen als eine mit den anderen gleichrangige christliche Konfession erscheinen. Damit die Gemeinde aber nicht nur anerkannt blieb, sondern auch von den anderen Konfessionen unabhängig wurde, mußte nun der dritte Schritt getan werden. Jetzt galt es nämlich, die steuerliche Selbständigkeit der Gemeinde zu erlangen. Da das Kommunalwesen im osmanischen Reich nach konfessionellen Gesichtspunkten bestimmt war, wurden die Steuer durch die Oberhäupter der verschiedenen Konfessionen bzw. durch die von den einzelnen Sippen gewählten Vorsteher (Mahatir) eingeholt. Dadurch waren die Gemeindemitglieder der Willkür der anderen Kirchen preisgegeben. Nun galt es, dies zu ändern. So bestimmte sie zu diesem Zweck einen sogenannten »Muhtar« aus ihren eigenen Reihen und war damit von den orientalischen Kirchen rechtlich quasi unabhängig. Neben fünf griechisch-orthodoxen, fünf römisch-katholischen, zwei muslimischen und einem armenischen gab es nun einen evangelischen Muhtar. Im Grunde genommen bildeten die hier unternommenen Schritte den Anfang eines langen Prozesses der Einheimischwerdung der arabisch-evangelischern Gemeinden in Palästina.

Noch vor der Gründung der Gemeinde gab es in Bethlehem eine evangelischen Schule. Diese Knabenschule war von Bischof Gobat schon Ende der vierziger Jahren gegründet und von dem Jerusalemsverein im Jahre 1871 übernommen worden. Trotz der Konkurrenz der vielen Schulen anderer Konfessionen konnte die evangelische Schule einen festen Platz in der Stadt Bethlehem einnehmen. Obwohl die Zahl der Schülerinnen der von Frau Müller im Jahre 1864 gegründeten Mädchenschule nie über 30 hinausging,  blieb sie auf die Bevölkerung Bethlehems nicht ohne Wirkung.

Die Einwurzelung unter Pfr. Ludwig Schneller (1884-1888)

Für den Jerusalemsverein war die Arbeit in Bethlehem zu einem Prestigeprojekt geworden. So beschloss der Verein, seine Tätigkeit in Bethlehem zu verstärken und die Missionsstation zu einer Pfarrstelle zu erheben. Dafür wurde Ludwig Schneller, der zweite Sohn des Waisenvaters in Jerusalem, gewählt. In ihm fand der Jerusalemsverein die geeignete Persönlichkeit für diese Stelle: Er war nicht nur in Jerusalem geboren und mit der Sprache, den Sitten und Gebräuchen Palästinas vertraut, sondern auch ein ausgebildeter Theologe (im Gegensatz zu Müller, der ein Laienmissionar war). Als Sohn des berühmten Missionars Schneller konnte er manch gute Brücken zum Syrischen Waisenhaus schlagen und in schwierigen Situationen mit dem Rat seines Vaters rechnen. Am 19. Mai 1884 traf Ludwig Schneller in Jerusalem ein und wurde sechs Tage später am Sonntag Exaudi in sein Amt eingeführt. Trotz der kurzen Amtszeit des Pastors Ludwig Schneller in Bethlehem (1884-1888) konnte dieser drei neue Schritte wagen, die für die Gemeinde von großer Wichtigkeit waren: Von Anfang an sah Schneller seine Hauptaufgabe in der »Gewinnung eines festen großen Stammes einer stetig ausharrenden evangelischen Gemeinde«. In dieser Situation griff er auf seine engen Verbindungen mit dem Syrischen Waisenhaus und auf den Rat seines Vaters zurück. Vater Schneller erwies der Arbeit seines Sohnes einen großen Dienst dadurch, daß er der Bethlehemer Gemeinde verschiedene in seinem Waisenhause evangelisch erzogene Mitglieder zuführte. Das geschah einmal durch Ansiedlung früherer Zöglinge. Dann aber gab der alte Schneller den evangelischen Gemeindemitgliedern aus Bethlehem und Beit Jala den Vorrang beider Aufnahme in sein Haus. Durch diesen Schritt war eine fruchtbare Verbindung zwischen dem Syrischen Waisenhaus und dem Jerusalemsverein entstanden.

Der zweite von Schneller unternommene Schritt war die Einführung einer neuen Gottesdienstordnung. Ludwig Schnellers Amtszeit in Bethlehem (1884-1888) fiel mit der Aufkündigung des Bistums (1886) zusammen. Nach dieser Aufkündigung schien es ihm nicht mehr angebracht, in einer deutschen »Missionsstation« weiterhin das englische

 »Book of Common Prayer« zu gebrauchen. Deshalb übernahm er die Liturgie der unierten Kirche in Altpreußen und Württemberg und übertrug sie ins Arabische. Schließlich ist der Bau der Weihnachtskirche in Bethlehem Pastor Ludwig Schneller zu verdanken. So wurde bereits 1886 mit dem Bau begonnen. Erst auf ihrer Reise nach Konstantinopel im Jahre 1889 konnte die Kaiserin Augusta Viktoria die Erlaubnis erlangen, so dass die Kirche im Jahre 1893 eingeweiht werden konnte.

Die Herausforderungen um die Jahrhundertwende: Die Zeit des Predigers Abboud

Die Zeit um die Jahrhundertwende war ohne Zweifel eine goldene Zeit für die Gemeinde der Weihnachtskirche. Zu ihr gehörten damals die meisten Familien des Anatreh Viertel. Auch hatte die Gemeinde einen zusätzlichen arabischen Prediger namens Said Abboud. Prediger Abboud war ursprünglich ein dem Libanon entstammendes Waisenkind, das aber im syrischen Waisenhaus erzogen und ausgebildet war. Dank seines Wirkens konnte die Gemeindearbeit während des ersten Weltkrieges weiter bestehen - ohne einen deutschen Leiter und weitere Unterstützung. Allerdings war diese Zeit eine sehr schwierige Zeit für die Gemeinde. Zum einen hat das Land unter Seuchen, Heuschrecken, und Krieg sehr gelitten und verarmte zusehends. Zum anderen begann eine große Auswanderungswelle von der Bethlehemer Region nach Südamerika. Innerhalb von einem Jahrzehnt hat sich die Einwohnerzahl von Bethlehem halbiert und Beit Jala hat ein Drittel seiner Bewohner verloren. Deren Nachkommen sind heute in Chile und in anderen lateinamerikanischen Ländern zu finden. Schließlich hat die Gemeinde nach dem ersten Weltkrieg ihr Prachtstück, das im Jahre 1898 von der Kaiserin selbst eingeweihte armenische Waisenhaus, an die Engländer verloren. Dieses wurde schon 1917 unter englische Verwaltung gestellt, in ein Krankenhaus umgewandelt und später beschlagnahmt.

Zwischen zwei Weltkriegen: Die Zeit Pastors Jentzsch

Die Zeit um die Jahrhundertwende hat eines klar gemacht: Wenn die Gemeinde eine Zukunft haben sollte, dann musste sie sich zu einer selbstständigen einheimischen Gemeinde entwickeln. Das war das Gebot der Stunde überhaupt und wurde auf der in Jerusalem 1928  gehaltenen internationalen  Missionkonferenz als klare Empfehlung ausgesprochen.

Als am 20. Februar 1928 der Jerusalemsverein sein 75jähriges Bestehen feierte, hielt der Leipziger Alttestamentler Professor Albrecht Alt den Vortrag. Er war der erste Propst, der nach dem Krieg nach Jerusalem gekommen war (1921-1923). In seinem Vortrag sagte er, dass die Bildung selbständiger evangelisch-arabischer Gemeinden der Mittelpunkt der Arbeit in Palästina geworden sei. Es gehe nicht mehr darum, »Mission« so weiter zu treiben wie vor dem Ersten Weltkrieg, sondern von nun an gelte es, selbstständige Gemeinden zu bilden. Ein Jahr später wurde dann auch tatsachlich die »palästinensisch-evangelische Gemeinde Jerusalem« gebildet. Die Gemeinden des Jerusalemsvereins in und um Bethlehem blieben aber weiterhin unorganisiert. Diese hatten weder Statuten noch Kirchenräte. Es hing alles an dem deutschen Missionsleiter. Es ist interessant zu sehen, dass sich in dieser Zeit alle Pröpste in Jerusalem für die Bildung eigenständiger evangelisch arabischer Gemeinden ausgesprochen haben, während der Jerusalemsverein zögerte. Pastor Jentzsch, der vom Verein inzwischen nach Bethlehem entsandt war, plädierte für die Schaffung eines Gesamtparlaments (eine Art Synode), in dem jede der vier Gemeinden des Jerusalemsvereins (Bethlehem, Beit-Jala, Beit-Sahour und Hebron) durch zwei Älteste vertreten würde. Zögernd stimmte der Jerusalemsverein diesem Plan von Pastor Jentzsch zu, bat ihn dabei aber darauf zu achten, dass »in einem 'Gesamtparlament' nicht eine Macht geschaffen werden darf, die versuchen konnte, dem Jerusalemsverein in seiner Leitung entgegenzuarbeiten«. Dem Rat des Jerusalemsvereins folgend, rief Pastor Jentzsch Mitte 1932 ein Arbeitskomitee ins Leben. Dazu gehörten außer den beiden Predigern Said Abboud und Sdid Baz Haddad acht Gemeindemitglieder, und zwar zwei Mitglieder aus jeder Gemeinde. Pastor Jentzsch führte den Vorsitz. Dieses Komitee sollte eine Art Statut ausarbeiten, das die Wahl und Stellung, die Rechte und Pflichten solcher Gemeindevertretung gegenüber ihren Gemeinden und gegenüber der deutschen Missionsgesellschaft präzisierten. Ende 1933 war die Verfassung der »Evangelisch-arabischen Gemeinde zu Bethlehem« fertig. Danach wollte die neu organisierte Gemeinde »alle arabisch sprechenden Christen vereinigen, die durch evangelischen deutschen Anstalten erzogen sind«.  Aber »auch jeder andere, der sich zu dem evangelischen Bekenntnis hält, kann zu ihr gehören«. Diese im Jahre 1933 erarbeitete Verfassung blieb jedoch wirkungslos. Sie ist nie richtig in Kraft getreten. Damit blieb die Gemeinde in Bethlehem zwischen den Kriegen ohne eine eigene selbständige Organisation. Die Schaffung einer selbstständigen evangelischen Kirche im Heiligen Land ist ohne Zweifel erst dem 1947 in Palästina agierenden Lutherischen Weltbund zu verdanken.

Die Gemeinde zwischen der Nakbah (1948) und der Naksah (1967): Die Zeit Pastors Schehadeh

Der arabisch-israelischer Krieg in 1948 war eine Katastrophe für die Bevölkerung Palästinas. Unter den etwa 900.000 vertriebenen Palastinensern waren mehr als 55.000 Christen. Infolge dieser Vertreibung durch Israel wurden die christlichen Städte in ihrer Demographie umgewalzt: Die größten an der Küste liegenden Städte Palastinas, die über einen beträchtlichen christlichen Bevölkerungsanteil verfügten, fielen 1948 in zionistische Hände. Die meisten Christen dieser Städte wurden vertrieben. Ein Vergleich der Statistik zwischen 1931 und 1961 zeigt, daß die Zahl der Christen in Haifa um 52%, in Jaffa um 73%, in Ramla um 40% und in Lydda um 70% zurückging. Gleiches gilt fur die Neustadt Jerusalems. Von 11.526 Christen im Jahre 1931 blieben nur 1.403 (12%) in ihren Hausern zurück. In diesen Städten wohnten aber die meisten ehemaligen Schneller-Schüler. Die kleinen evangelischen arabischen Gemeinden des Syrischen Waisenhauses hörte auf zu existieren. Viele dieser Vertriebenen strömten nach Bethlehem. So konnte sich die Zahl der erwachsenen Gemeindemitglieder von 1938 bis 1951 auf das dreifache vergrößern. Zweidrittel der Mitglieder waren nun Flüchtlinge. Der Vertreter des lutherischen Weltbundes ließ  der Evangelist Elias Shehadeh 1948 zum Pastor von Bethlehem ordinieren. Mit der Hilfe des Lutherischen Weltbundes und dem von Pastor Schehadeh dank der norwegischen Kirche eingeführten sozial Station konnte die Gemeinde hunderten von christlichen Familien in Bethlehem über Jahrzehnte  mit Essen versorgen. In dieser Zeit hat Pastor Schehadeh mit Hilfe von Christen in Schweden auch eine neue Schule gründen, nämlich die Schwedische Schule zum Guten Hirten. Nach der Anerkennung der Kirchen durch der jordanischen Regierung im Jahre 1959 galt es nun der finanziellen Selbstständigkeit anzustreben. Zu diesem Zweck hat die ELCJ mehrere Shops direkt neben der Weihnachtskirche gebaut und vermietet. Leider wurde die Gemeinde auch in dieser Zeit von einer neuen Auswanderungswelle betroffen. Die meisten der Auswanderer sind in der arabischen Öl-Länder als Lehrer oder Beamte eingestellt. 33 der 80 Lutherischen Familien in Bethlehem hatten Kinder, die im Ausland zum Studium verweilten. Davon waren 14 in der USA, 10 in Deutschland, und 4 in Beirut. Die meisten dürften nach dem 1967 Krieg nicht mehr zurück.

Zwischen dem Naksah und der ersten Intifada: Die Zeit Pastors Nassar

Am 31. Dezember 1964 trat der damalige Pastor der Gemeinde, Elias Schehadeh, in den Ruhestand. Elf Tage vorher war Naim Nassar in der Erlöserkirche von dem damaligen Propst Malsch (1960-1965) zum Pastor ordiniert worden. Am 10. Januar 1965 wurde er in sein Amt in Bethlehem eingeführt. Hier blieb er bis 1986. Aus dem Jahr, in dem Pastor Nassar die Gemeinde übernahm, besitzen wir eine ausführliche Statistik über deren Zusammensetzung: demnach hat die Gemeinde damals 301 Gemeindeglieder, davon 159 Männer und 52 Frauen über 18 Jahre. 51 Familien gehören zur evangelischen Gemeinde, von denen 28 rein evangelisch-Iutherisch sind. 14 Männer kommen aus dem Syrischen Waisenhaus und 9 Frauen aus Talitha Kumi. 21 Männer und 9 Frauen haben Schulen der Anglikaner besucht. 20 Frauen kommen aus Schulen nichtevangelischer Konfessionen. Von den rein evangelischen Familien gehörten 15 bereits seit mehr als einer Generation zur lutherischen Gemeinde. Berufsmäßig waren die Gemeindemitglieder meistens »Handwerker, Handwerksmeister, Geschäftsleute, Lehrer, Lehrerinnen, Regierungsbeamte und Angestellte“. Dies waren auch die traditionellen Berufe der Zöglinge des Syrischen Waisenhauses. Ärzte, Rechtsanwälte und Architekten gab es in der Gemeinde nicht. Nur ein einziges Mitglied hatte einen Universitätsabschluss. Das war eine geschrumpfte und verarmte Gemeinde deren Potential im Ausland lag. In der Zeit begann eine dritte Auswanderungswelle, diesmal vor allem in die USA, Kanada, und Australien. Dennoch entfaltete die Gemeinde unter Pastor Nassar eine große Jugend- und Sozialarbeit. In dieser Zeit, wo die Gemeinde vom Rest der arabischen Welt getrennt war, begann ein reger Austausch mit Deutschland, Skandinavien, und anderen europäischen Ländern.

Von der ersten Intifada bis zur Gegenwart: Die Zeit Pastors Raheb

Im Jahre 1986 wurde Pastor Nassar zum zweiten Bischof der ELCJ gewählt. In Mai 1987 hatte ich mein Promotion beendet gehabt und kehrte nach Bethlehem zurück. Sechs Monate später begann die erste Intifada. Das war eine Zeit großer Herausforderungen, aber auch eine Zeit voller Hoffnung. Die Intifada zwang die Kirchen Palästinas ihre Stimme gegen die Besatzung zu erheben und die Entwicklung einer Kontextuellen Theologie anzustreben. Darin bin ich gleich zu Hause gewesen. Bald entwickelte sich die Arbeit an einer eigenen kontektuellen christlichen Musik und Kunst. Nach und nach wurde mir auch klar, dass wir eine neue Form der Gemeindearbeit bräuchten, wo die Gemeinde auch gesellschaftsbezogen arbeiten sollte. Aus dieser Überlegung wurde 1992 ein Gästehaus eröffnet, um Gruppen mit den „einheimischen Christen" in Verbindung zu bringen. 1995 wurde dann die Krypta unterhalb der Kirchen restauriert und als Jugend- und Begegnungszentrum eingeweiht. Als Bethlehem sich dann auf das zweite Millennium vorzubereiten begann, wurde die Idee geboren, den früheren Schulkomplex neben der Kirche in ein Konferenz- und Kulturzentrum zu verwandeln. Dafür wurde dann eine neue Schule auf dem alten Müllersberg gebaut, nachdem es uns gelangen war, von Präasident Arafat einen Teil des von den Engländern beschlagnahmten armenischen Waisenhaus-Geländes zurück zu bekommen. Im Jahre 2006 konnten wir dann die Akkreditierung einer neuen Hochschule sichern. Demnach wollten wir uns im Bereich Kunst und Kultur profilieren um so einen Beitrag zur Entwicklung einer dynamischen Identität für das palästinensische Volk zu leisten. Es wurde viel in die jungen Gemeindemitglieder investiert, so dass diese eine gute höhere Bildung bekommen um sich an der Mission der Dar al-Kalima Hochschule zu beteiligen. Dadurch konnten wir der Auswanderung von Fachkräften entgegenwirken und die jungen Gemeindemitglieder sinnvoll vor Ort einsetzen. In dieser Zeit haben sich vier junge Frauen aus der Gemeinde entschlossen, Theologe zu studieren. Zwei von ihnen sind inzwischen sogar  promoviert und eine ist ordiniert. War die Gemeinde Bethlehem Mitte des 19. Jahrhunderts eine von den übrigen Konfessionen ausgestoßene und sich am Rande des Ortes befindliche Größe, so ist sie heute nicht nur die drittgrößte Arbeitgeberin in Bethlehem, sondern auch ein Ort der Kreativität, Vitalität, und Kontextualität. Auch wenn die Zukunft düster auszusehen scheint, bleibt unsere Aufgabe, die Botschaft Jesu in seiner Geburtsstadt lebendig zu halten und seine Mission in diesem Land weiterzuführen. Der Geist hilft dabei unserer Schwachheit auf.